Liebes Archiv … Einträge vom April 2008

Extratouren.


Vollgefressen und erschöpft schaue ich aufs vorletzte Wochenende zurück. Drei Tage der Herausforderung, neues Nahes zu entdecken, nur nicht in die Ferne zu schweifen, nicht so einfach, aber möglich. R-und-P-Reisen.
Das Aostatal, bereits mehrfach bereist, glänzt mit circa einhundertfünfunddreißig Burgen und deren Überresten, eine der ersten, an denen man gern auf der Autobahn vorbeirast, ist die Forte di Bard, das wie eine Treppe auf seinem Fels thront. Fußkranke benutzen die Aufzüge, um die oberste Ebene zu erreichen, wir nahmen den westseitigen Fußweg. Von hier kann man das Rauschen der Autobahn besonders deutlich hören, ein hoher Preis für den schnellen Verbindung des schmalen Tals mit der Welt. Einen Cappuccino und ein feines Stück Torte später stiegen wir auf der Ostseite wieder hinunter. So schnell kann es gehen. Kurze Fotopause in Verrès. Der Blauregen rankte allüberall.
Weiter zum Schloß Fénis, Wartezeit zur Führung eine Stunde, also schauten wir es uns nur von außen an. Das Wichtigste sind die Bilder!
Abends zum Schreihals, geschätzte neun Vorspeisen, erster Gang, zweiter Gang, Nachtisch, eine gute Pulle Wein dazu, explosives Bauchgefühl inclusive.
Der nächste Tag, vor lauter Möglichkeiten den Heiligen Berg von Varallo ausgesucht und diesmal etwas näher hingeschaut. Die Motive dennoch dieselben wie beim ersten Mal. Nach dem natürlich üppigen Mittagsmahl im dortigen Restaurant noch ein Spaziergang - ohne den neuen Zooom hätte ich die Riesensau mit ihren Frischis wohl nicht rascheln hören.
Der letzte Ausflugstag gehörte den anderen Schweinen, denen aus Eisen, und dem Gebirgszug jenseits des Po. Von dort kann man weit über die Wasserflächen der vercellesischen Po-Ebene sehen, wenn es nicht zu diesig ist. Über Berg und Tal durchfährt man kleine Dörfer mit ihren Burgen und Schlössern aller möglicher Epochen, die nur mit viel Glück gerade der Öffentlichkeit zugänglich sind.
Der Abend gehörte den Pferdeställen, feines Fressi. Und dann war der Spaß auch schon vorbei und die neue Woche nahm uns alle gefangen.

[] Vercelli / für Montach, 28. April 2008

Aufruhr in Ameisenhausen - Rassismusverdacht im Palazzo.


Vielleicht war es gestern, vielleicht vor einem Monat, vielleicht auch vor einem Jahr, die Zeit rast und alle Erinnerung verschwimmt in meinem Kopf, zu gegebener Zeit wird mir F aus B mit übertriebener Theatralik wiedereinmal die Details unserer gemeinsamen Vergangenheit ins Gedächtnis rufen müssen.
Verdammt viel Mühe hatten wir uns jedenfalls gemacht, um mit den lieben Kollegen eben seinen Abschied aus dem herrschaftlichen Palazzo und einen meiner krummen Geburtstage zu begehen, hatten tütenweise eingekauft, Getränke aller Art bereitgestellt, Aufschnitt kunstvoll drapiert und die auffälligsten Wollmäuse in die uneinsehbaren Ecken gescheucht, wer nicht kam, waren zahlreiche Gäste.
Nun haben sich auch die deutschesten Deutschen der italienischen Unart anheimgegeben, frühestens eineinhalb Stunden nach dem angegebenen Termin auf einer Festlichkeit zu erscheinen, so auch ich, das Fieber des Gastgebers kennt immer nur er selbst.
Ich sah die Wurstscheiben sich schon gen Himmel biegen und alles für die Katz, Berge von Käse, Schinken, Brot und Oliven, die wir in wochenlanger Schwerstarbeit selbst vernichten müßten, ich sah das Bier und den Rum, zumindest das Zeug durfte nicht verkommen, und endlich sickerten auch die Gäste ein, meine Einladung war wohl nicht zwingend genug formuliert gewesen, viel zu langsam leerten sich die Teller, ich war weiter in Sorge und fiel vor lauter Streß darum dem Rum anheim und gegen halb zwölf ins Bett.
Am nächsten Morgen war alles weg, geputzt war auch schon, die Sorgen verflogen.
Lange danach, also kürzlich, verschlug es mich in die Ecke des Arbeitszimmers, meiner ehemaligen Kemenate, wo mir ein Restelager von eben dieser Feier ins Auge sprang, zwei Packen Orangensaft und ein Karton Pygmäenküsse. Der Anblick des Letzteren erweckte meinen Appetit, ich hob ihn aus der Kiste und bemerkte eigenartige Rückstände dort, wo der Karton wochenlang geharrt hatte. Verwundert und in gespannter Erwartung öffnete ich ihn und fand Leben, kleines, krabbelndes Leben.
Ameisen hatten sich des Naschwerks dankbar angenommen, unauffällig waren sie in der Deckung der Teppichleiste heranmaschiert, die offensichtlich die Kriechtierautobahn durch die gesamte Wohnung verbirgt, und eine neue Stadt gegründet. Sie hatten einige ausgewachsene Wollmäuse geschlachtet und damit das Parkett ausgepolstert, vielleicht um das wuselige Treiben vor dem neugierigen Auge zu verbergen.
Auch wenn ich nichts gegen die kleinen Tiere habe, es half nichts, ich mußte diesem ungenehmigten Siedlungsausbau ein Ende bereiten, fegte die Wollmauskadaver fort und brachte den Karton zur weiteren Obduktion in den eilig improvisierten Operationssaal.
Bei näherer Betrachtung beschlich mich das Gefühl, die kleinen Racker könnten Ressentiments gegen Negerküsse haben - sie hatten den Guß der weißen Eischneeberge schon fast vollständig abgebaut, während die dunkelhäutigeren noch einen eßbaren Eindruck machten - von einigen verfressenen Schneisen abgesehen. Nach Anfertigung einiger Beweisfotos ließ ich den Gedanken dann doch zusammen mit dem wuselnden Karton in den Mülleimer fallen. Die Biomasse der Ameisen übersteigt die aller Menschen bei weitem, also will ich mich da mit niemandem anlegen. Die Anklage wird fallengelassen.

[] Vercelli / Donnerstag, 24. April 2008

Wasserspiegel zweieinhalb.


Diese neuen Wasserflächen nehmen mehr und mehr Felder ein. Der Frühling geht erstmal wechselhaft weiter, wenn auch um einiges sonniger als zuhause, will man entsprechenden Berichten Glauben schenken. Wolken und Pfützen machen die vorhandenen Motive noch interessanter. Die Heizung kann man so schnell nun doch noch nicht abschalten, vor allem wenn innerhalb der dicken Mauern des Palazzo die Wäsche trocknen soll.

[] Provinz Vercelli / Mittwoch, 16. April 2008

Von der Schwierigkeit, eine Flasche zu verkorken.

Mal wieder ein gepflegtes Gläslein Wein. Ganz schnell und einfach ist die Flasche entkorkt, plopp! Perfekter Korken, unversehrt, dank nomacorc.
Erleichtert beginnt der Wein zu atmen wie ein Neugeborenes, ein-aus, ein-aus, in regelmäßigen Zügen. Nur schreien tut er nicht.
Dunkelrot füllt sich das bauchige Glas, plätschernd, ein kleiner Tropfen entwischt und ehrt das weiße Küchenmöbel. Ein-aus. Ein-aus. Jetzt in tieferen Zügen.
Ganz andächtig geht es an den Verzehr des Rebsaftes, erst das Bouquet mit der Nase erschnüffelt, dann ein kleiner Schluck langsam die Kehle heruntergesandt, der sich da unten schließlich doch mit all dem Rest vereint, solange bis, nach einem Dutzend vornehmer Züge, der Genüßling ausnahmsweise erkennt, daß es genug ist.
Der zarte rubinrote Film, der noch das Innere des eleganten Glases färbt, wird zur kleinen Pfütze auf dem Glasboden und was am Morgen davon bleibt, ist nur noch dunkle Kruste und Erinnerung.
Die Flasche, dunkelgrün mit schlankem Hals, läßt noch immer - unhörbar zwar - den Sorgenbrecher seinen Odem verströmen. Ein-aus. Ein-aus. Schluß damit.
Der Korken muß wieder rein. Ein Ding der Unmöglichkeit, wie es scheint. Kein Kraft der Welt bringt ihn, den patentierten Schaumzylinder mit der flexiblen Außenhaut, in welcher Richtung auch immer, zurück dorthin, wo er herkam, er wehrt sich, den Wein zu ersticken, möchte man meinen, vielleicht etwas eindrehen? - Ja! - Nein. Und hier trauert der verzweifelte Weinliebhaber kraftlos dem klassischen Korken nach, welcher immer wieder bereitwillig und widerspruchslos in die Flasche ging, und verflucht diesen Weinbauern, der der Tradition entsagt und sich der Moderne verschrieben hat.
Noch mehr drücken - und - die Flasche taumelt, schlägt um sich, erscheckt springt der Verkorker zurück, Bier gibt keine Rotweinflecken, schallt es in seinem Kopf, die Flasche lebt, dreht sich, torkelt selbstmörderisch an die Kante der Küchenplatte, schon verschwenderisch ihren Inhalt verspritzend, der ihr die Unwucht verleiht um sie zu Boden zu reißen und sich häßlich auf den Fliesen zu verteilen, unter die Anrichte und in die letzte Fuge zu laufen und alles Gute, was man über ihn gesagt und geschrieben haben mag, vergessen zu machen und noch Tage oder Wochen unangenehm im Gedächtnis zu bleiben. Doch halt!
Wozu gibt es Küchenmesser?! Kleine, scharfe Dinger, mit denen der Korkartige leicht angeschrägt endlich in die Flasche paßt. Wein und Abend sind gerettet. Darauf noch ein Glas - oder zwei. Oder drei?

[] Vercelli / Dienstag, 08. April 2008

Wasserspiegel.


Rauhe Winde streichen über die neuen Wasserflächen, nur im Windschatten oder wenn die Sonne dank Sommerzeit spät zum Untergehen neigt, lassen sie nach und diese romantischen aber weitestgehend unbeachteten Spiegelbilder können glänzen. Vögel kreischen verärgert, weil ich sie in ihrem Revier störe und fliegen zu schnell auf, um sie auf digitales Zelluloid zu bannen. Ein Teleobjektiv muß wohl her.
Nach dem Winter wurden die leeren Felder zuerst mithilfe neumodischer Methoden geebnet, um nach dem Ziehen schmaler Kanäle gleichmäßig vom Wasser bedeckt zu werden. Nach und nach versinkt das ganze terra d´acqua.
Was danach kommt, wie der Reis in den Sack findet, bleibt abzuwarten.

[] Provinz Vercelli / Sonntag, 06. April 2008

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.